Rubato / China_Shanghai_ Residency 2013_BLOG 1
Tanzcompagnie Rubato_BLOG
1. China/Shanghai Residenz – 12. Jan. 2013
Blick vom Dach des Swatch Art Peace Hotel_Shanghai auf den BUND, den Fluß Huang Pu und die Skyline des Stadteil Pu Dong
Die Residenz:
Erneut hat eine intensive China-Phase für uns begonnen… nein, wir stecken schon mitten drin.
Seit dem 13. Dezember wohnen und arbeiten wir im Swatch Art Peace Hotel, direkt am BUND.
Das ist eine der ersten Adressen hier in Shanghai, absolut zentral gelegen in dieser 24 Millionen Metropole.
Etwa so, als ob man in NYC in der 5th Avenue wohnen und arbeiten würde.
Möglich ist das für uns nur, weil wir hier im Rahmen einer „Artist-Residency“ der „Swatch Group“ leben und arbeiten können
(richtig, das ist das bekannte Uhrenunternehmen aus der Schweiz).
Das wie ein Hotel geführte Haus, bietet Wohn-Studios und Workshops für Künstler.
Räume in denen überwiegend „visual artists“, malen, zeichnen, Skulpturen bauen, mit Video- und Soundarbeiten beschäftigt sind.
Eine bunte Gruppe, von zur Zeit 3 Frauen und 13 Männer, international, gemischt, jung, mittel und älter.
Wir sind die ersten Tänzer/Choreografen die zu einer Residenz eingeladen wurden.
Die Küche
Neben dem Künstlerdasein verbindet uns hier ganz profan die riesige Gemeinschaftsküche mit Megatresen.
Ein tägliches Frühstücksbuffet ist Teil des Residenzangebots. Das Frühstück ist der „Marktplatz“ für Gespräche, Austausch aber auch für Banalitäten und Tratsch.
Ansonsten hat jede/r die Möglichkeit individuell hier zu kochen.
Die Künstler bewohnen und benützen zwei Stockwerke der insgesamt sechs Etagen dieses 1920 im neoklassisch europäischen Stil erbauten Gebäudes, welches für 40 Jahre vom chinesischen Staat an die Swatch Group verpachtet wurde.
Schlichte Funktion und ausgefallenes Design treffen hier innenarchitektonisch aufeinander. Im besten Fall ergänzen sie sich, oder stehen einfach nebeneinander, in manchen Fällen behindern sie sich.
Im schnellen und vielschichtigen Tempo der Metropole Shanghai, ist das „Künstler-Hotel“ wie eine Insel im Zentrum der Stadt.
Hotelfeeling, Künstlerwohngemeinschaft, chinesisch, international, divergierende Energien: in diesem kleinen Kosmos ist das schaffen von Arbeitsstruktur und Konzentration eine Herausforderung für uns.
Wir sind froh über Anlässe die uns nach draußen führen, um angedockt zu bleiben an die chinesische Realität.
Da wir als Tänzer Raum benötigen, haben wir das Privileg das größte Studio im Swatch Art Peace Hotel benützen zu können. Ein Raum ca. 80 qm groß. Eine Spiegelwand, ein Tanzteppich und mobile Ballettstangen wurden extra angeschafft. Großes Staunen bei uns und allen anderen.
Grundsätzlich sehen wir die Zeit hier als Möglichkeit an alten und neuen Fragen und Fragestellungen zu recherchieren und zu forschen.
Eine der Überschriften unserer Recherche: Weiß – White – Bai se de
Dahinter verbirgt sich, kurz und abstrakt gesagt, das Phänomen der „Überschreibung“.
Tradition wird durch Moderne überschrieben, alte Kultur durch zeitgenössische. Was bleibt sichtbar, erhalten, was verschwindet, löst sich auf, unwiederbringlich, was transformiert sich?
An der Konkretisierung dieses Themas, arbeiten wir zur Zeit regelmäßig mit Li Ling Xi, eine Tänzer/Choreografin aus Shanghai.
Wir kennen uns seit 2001. Ling Xi hat in mehreren Projekten die wir in China realisiert haben, mitgearbeitet.
Ling Xi in den 70iger Jahren geboren, begann ihre Tanzkarriere beim chinesischen Militär als sie 10 Jahre alt war.
Klassischer chinesischer Tanz und chinesische Volkstänze sind die Basis ihrer Ausbildung.
Ende der 90iger Jahre machte Sie Schluss mit der Sicherheit in einem staatlichen Ensemble zu tanzen. Sie entschied sich für die Konfrontation mit „modern dance“.
Ihre „alte“ Technik wurde überschrieben durch „neue Techniken“, moderne Techniken, andere Anforderungen an den tanzenden Körper.
In den folgenden 12 Jahren rief sie das alte Wissen nur noch sehr sporadisch ab.
Wir arbeiten zu dritt im Studio. Die Arbeitsatmosphäre ist intim und intensiv.
Jetzt, viele Jahre später, konfrontieren wir sie damit, uns in die Grundlagen des klassischen chinesischen Tanzes und der verschiedenen Volkstänze einzuführen.
Wir wollen z.B die grundlegenden Unterschiede der verschiedenen Volkstänze kennenlernen, die Sie über Jahre in ihrer Ausbildung täglich geübt hat.
Eine spannende Reise in das gespeicherte Wissen ihres Körpers beginnt.
Alles ist irgendwo abgelegt, auch zugedeckt von späteren Einflüssen. Jetzt muss sie sich erinnern wie sie als Kind von ihren Lehrern in die Kunst des chinesischen klassischen Tanzes und des Volkstanzes eingeführt wurde. Wir sind jetzt die unschuldigen neugierigen Kinder. Sie muss die Komplexität herunterbrechen auf einfachere Strukturen, damit wir eine Chance haben die Form zu verstehen und zu lernen.
Indem wir immer und immer wieder die traditionellen Formen mit unserem Körper repetieren, versuchen wir zu verstehen, welches Verständnis von Körper sich hinter den Formen befindet und wie sich eine uns fremde Kultur darin widerspiegelt.
Von hier aus kann die Reise weitergehen, hin zu den kulturellen Einflüssen, den gesellschaftlichen Prozessen, die Veränderungen und Überschreibungen verursachen.
Eine spannende Körperreise hat begonnen…
Dieter Baumann / Jutta Hell
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