Shanghai Report 5
Shanghai Report5
Shanghai 31. Mai. 2010
Liebe Freunde, Kollegen, Projektpartner,
cheap cheap ahh … cheap cheap ahh… cheap cheap ahh…
do you wana buy a watch, a bag, I-phone, do you wana buy me!!??
Textfragmente, gesprochen, gesungen von den chinesischen TänzerInnen/PerformerInnen. Das westliche Publikum schmunzelt, das chinesische Publikum ist hin- und her- gerissen zwischen lachen, Irritation und dem Gefühl, dass man China doch in einem insgesamt positiven Licht zeigen sollte. Sie wissen, das die work in progress Vorstellung die Sie
gerade sehen, in zwei Monaten als Uraufführung in Berlin im Tanz im August zu sehen sein wird.
CAN ART Institute of Contemporary Arts, an der Eingangstür hängt ein großer handgeschriebener Hinweis das dies eine nicht öffentliche Probe ist, nur für Freunde und eingeladene Gäste. Die Polizei könnte kommen und nach dem Erlaubnispapier der Behörde fragen, diese Erlaubnis wird nicht verlangt bei ausschließlich privaten Veranstal-tungen ohne Eintritt. 300, überwiegend chinesische Menschen, sind am 27. Mai zu unserer Performance in diese Galerie in Shanghai gekommen. Fast ohne jede Werbung, mouth to mouth, E-mails, Blog´s, haben die “Szene” mobilisiert und unsere erwarteten 40 bis 50 Zuschauer, völlig überraschend, bei weitem übertroffen.Viele sehen das 90 minütige Stück stehend, die Stimmung ist sehr aufmerksam, teilnehmend. Langer Applaus.
Schnitt
Seit Tagen sorgt eine Serie von Selbstmorden unter den Beschäftigten des weltweit größten Elektronik-Herstellers Foxconn in Südchina für Schlagzeilen. Nun sprang ein weiterer Mitarbeiter vom Balkon eines Wohnheimes in den Tod, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet. Das aus Taiwan stammende Unternehmen Foxconn beliefert Computerkonzerne wie Apple, Hewlett-Packard, Dell oder Sony. Foxconn zahlt in Shenzhen den örtlichen Mindestlohn von 900 Yuan (110 Euro) dafür, kleinteilige Elektronikgeräte zusammenzusetzen – eine monotone Arbeit, bei der die jungen Leute viele Stunden die gleichen Handbewegungen wiederholen. Die Arbeiter bei den Honda-Zulieferern fordern eine Aufstockung auf 2 000 Yuan (240 Euro) im Monat. Bisher erhalten sie 1 500 Yuan. Schreibtischarbeiter fordern heutzutage das bis zu Zehnfache von ihren Chefs. (Zeit.Online)
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Im Anschluss an unsere Vorstellung wird intensiv in kleinen Gruppen gesprochen, diskutiert, Fragen gestellt. Unser Stück zeigt aus der individuellen Perspektive der Darsteller, eine große Bandbreite chinesischen zeitgenössischen Lebens. Der Aspekt der billigen Produkte, der gefakten Produkte, der billige, käufliche Körper (und dabei geht es nicht um Prostitution), wird im Stück auch thematisiert. Überraschend finden wir, dass an diesem Abend in der “Kunst-Szene” darüber diskutiert wird ob dadurch das Bild Chinas zu kritisch gezeigt wird. Selbst wenn von den chinesischen Kritikern bestätigt wird das China die Werkbank der Welt ist, spürt man teilweise das Unbehagen dies künstlerisch zu trans-formieren. Sind wir mal wieder viel zu direkt für China, dem Land der Indirektheit, in dem man zuerst nach rechts geht
wenn man eigentlich nach links gehen will? Trotzdem, die Zustimmung zum Stück ist sehr groß, die Vielschichtigkeit, die ästhetischen Mittel, die Choreografie, die Leistung der TänzerInnen/Performer, dies alles wird sehr positiv eingeschätzt.
Ein Tag sp äter, das ganze Team trifft sich zum Arbeitsessen. Wir sprechen über den Vorstellungsabend, die unter-schiedlichen Wahrnehmungen von westlichen und chinesischen Zuschauern. Wenn es z.B. um die billigen Produkte geht die in China hergestellt und verkauft werden dann sieht der westliche Zuschauer darin eher eine Realität der er nicht nur als Tourist begegnet, sondern auch Zuhause z.B. in Form von Elektrogeräten, T-Shirts, etc. Der Chinese blendet es lieber aus und behauptet das dies eher ein Phänomen westlicher Besucher in China sei, eine Realität, mit der er als Chinese nicht konfrontiert wird. Das Gespräch wird nochmals auf den Titel gelenkt: Look at me I´m Chinese, englisch ausgesprochen ist der Titel kein Problem für die Chinesen, übersetzt man ihn aber ins chinesische mit: kan wo, wo shi zhong guo ren (wörtlich: schauen mich, ich bin Chinese) dann ist das zu fordernd, zu “unhöflich”, es fehlt das “QING” , BITTE, also: “qing kan wo, wo shi zhong guo ren”, “Bitte schau mich an, ich bin Chinese” ist kein Problem.
Ein schönes Beispiel für die Verflechtung von Sprache und Kultur, Semantik und Differenz.
Erneut müssen wir (Deutsche) feststellen wie schwierig der Weg des Verstehens ist.
Schnitt
Einem Pressebericht zufolge greift Foxconn inzwischen zu drastischen Mitteln, um Selbstmorde unter seinen Arbeitnehmern zu verhindern.
So mussten sich die rund 300.000 Beschäftigten des Konzerns schriftlich verpflichten, sich nicht selbst zu töten. “Ich verspreche, mich oder andere niemals in einer extremen Form zu verletzen”, heißt es in dem Schreiben, dass die chinesische Zeitung Southern Metropolis Daily abdruckte. Gleichzeitig erlauben die Mitarbeiter dem Unternehmen mit ihre Unterschrift zudem, sie “zum eigenen Schutz oder dem anderer” in eine psychiatrische Klinik zu schicken, sollten sie in einer “anormalen geistigen oder körperlichen Verfassung sein”. Gebäude des Unternehmens wurden mit Netzen verhängt, um Todesstürze zu verhindern. (Zeit.Online)
Der Suizid (das Wort Selbstmord klingt in diesem Zusammenhang fast schon zynisch) der chinesischen Foxconn Arbeiter ist Ausdruck einer verzweifelten auswegslosen Situation dieser Menschen, die sich als ultimatives Mittel in den Tod stürzen. Wir bezweifeln sehr, dass diese Menschen ihr Handeln als politische Manifestation definiert hätten. Dennoch es regt sich Protest angesichts unmenschlicher Arbeitsbedingungen, hier und da gibt es Arbeitsnieder-legungen um höhere Löhne und mehr Freizeit zu fordern. Wir westlichen Konsumenten haben schließlich auch Einfluss und können entscheiden was wir kaufen oder besser nicht (mehr) kaufen. Natürlich keine einfache Forderung
angesichts der Tatsache das z.B. Bekleidung zu 90 % “Made in China” ist egal um welches Lable es sich handelt. Und, ich muss zugeben, auch dieser Report ist auf einem Apple geschrieben…
Herzliche Grüße aus Shanghai
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